St. Kilian

Die Architektur

Heute, nach 50 Jahren, empfindet man die Kirche vielleicht nicht mehr als außergewöhnlich modern, sondern erkennt sie aufgrund der Betonbauweise klar als ein Gebäude der späten 1960er Jahre. Und doch staunt, wer die Kirche heute zum ersten Mal betritt, vor allem, weil das Gebäude von außen nicht ahnen lässt, was einen drinnen erwartet. Entworfen und gebaut hat die Kirche der Bielefelder Architekt Joachim G. Hanke. Von außen fällt besonders der freistehende Turm auf, eines der höchsten Gebäude der Stadt und wie die Mitglieder der Gemeinde seit jeher betonen, das erste, das man sieht, wenn man auf Paderborn zufährt. Von manchen Richtungen aus stimmt das sogar.

Kardinal Jaeger, der die Kirche am 4. Dezember 1966 geweiht hat, sprach damals vom „Geist des Konzils“, aus dem Kirche geboren worden sei. Er selbst war Konzilsvater und meinte damit wohl eine bis dahin ungekannte Weite und Diskussionsfreude in der Kirche, zudem die Erkenntnis, dass die Kirche vor aller Hierarchie eine Gemeinschaft, nämlich Volk Gottes ist. All dies strahlt die Kirche nach wie vor aus. Sie ist ein Zentralbau, der aber innen klar eine Richtung hat. Die Kirche läuft gewissermaßen auf den Altar zu, der zwar nicht in der Mitte des Raumes und doch in seinem Zentrum steht.

St. Kilian

„Wem sich die neue Kilianskirche zum ersten Mal öffnete, der mag zunächst verwirrt oder auch beglückt gewesen sein angesichts der Kühnheit dieses modernen Kirchenraums.“ So schrieb des Westfälische Volksblatt im Dezember 1966 zur Weihe der Kirche. 

Wer die Kirche betritt,

steht gleich dem Hausherrn gegenüber. Auf einem Wandbehang von Theresia Friedrich grüßt der auferstandene Christus und es kommt einem ein Wort Jesu aus dem Johannes-Evangelium in den Sinn: Ich bin die Tür, wer durch mich ein- und ausgeht, wird das Leben in Fülle haben. Mit dieser großartigen Verheißung also wird man empfangen, dennoch wähnt sich der Besucher an diesem Ort in einer Art U-Bahnstation. Denn man ist nicht gleich im eigentlichen Kirchenraum, sondern in einer kleinen Vorhalle. Man blickt auf eine Betonwand, rechts und links führen Treppen hinauf. Obwohl dies nach Worten des Architekten weniger inhaltliche Gründe hat, sondern dem Gelände geschuldet ist, mag man hier eine zentrale Idee des Zweiten Vatikanischen Konzils erkennen. In vorkonziliaren Kirchbauten sind die Stufen am Altar und natürlich ging nur der Priester diese hinauf zum Altar, denn nur er feierte die Messe. Das Volk wohnte dem Geschehen bei, war aber nicht beteiligt. Das Konzil formulierte dagegen, es wünsche die „volle, bewusste und tätige Teilnahme“ aller Gläubigen. Gemeint war damit nicht möglichst viel Action mit möglichst vielen Beteiligten, sondern, dass nun die ganze Gemeinde Trägerin der Liturgie ist, nicht nur der Priester. So gehen in St. Kilian also nun alle die Stufen hoch und oben an der Treppe weitet sich der Blick in den Innenraum der Kirche, den viele in dieser Größe und in dieser Stille bzw. Harmonie nicht erwarten. 

Ein besonderes Faszinosum sind die Fenster der Kirche, eigentlich sind es Teile der Fassade. Es handelt sich um Betonverglasungen, die der Krefelder Künstler Hubertus Spierling entworfen hat. Manchem kommt die Kirche dadurch dunkel vor, doch müssen Kirchen heute so aussehen wie moderne Arztpraxen - lichtdurchflutet und heller Ahorn? Braucht nicht der Mensch auch einen Ort der Geborgenheit, der alles auf- und annimmt, aber nicht ausleuchtet?

Im Chorraum

 finden sich wie in den anderen beiden Kirchen der Pfarrei St. Julian Werke von Josef Rikus. Er hat den Ambo gestaltet, den Altar, den Tabernakel und das Kreuz über dem Altar. Die Madonna auf der linken Seite neben der Tür zur Sakristei sowie der Kreuzweg auf der gegenüberliegenden Seite sind Werke des Bildhauers Karl Franke. Rechts neben der Sakristeitür steht vor einer großen Bronzeplatte mit Scheibenkreuz eine kleine Bischofsfigur von Walther Cohausz, sie zeigt den Patron der Kirche, den irischen Wandermönch Kilian, der der Legende nach Bischof von Würzburg war. Die Figur, ein Reliquiar, ist ein Geschenk des früheren Erzbischofs Degenhardt, das er der Gemeinde zur Einweihung des Pfarrheims gemacht hat. Ein weiteres Exemplar dieser Figur steht übrigens in der St.-Kilians-Church in Sandhurst, Australien. Die dortige Kirche hat im 19. Jahrhundert ein gebürtiger Paderborner gebaut und nach Kilian, der auch erster Patron des Paderborner Doms ist, benannt.

Das Prinzipalstück der Kirche ist gewiss das Altarkreuz, das sich bei näherem und längerem Betrachten zu einem Thron wandelt. Man sieht Christus, der einen ausgemergelten, geradezu ausgeweideten Corpus hat. Woher kennt man Menschen mit solchen Körpern? Aus dem Krieg, aus Konzentrationslagerns, von Orten schlimmsten Leids. Trotz des gemarterten Körpers blickt man hier nicht auf einen toten oder sterbenden Menschen, dieser Christus sitzt – oder sollte man sagen: thront? - aufrecht am Kreuz. Seine Hände sind nicht festgenagelt, sondern frei, er hat sie wie zu einer Umarmung oder zu einer Willkommensgeste erhoben. Das Kreuz ist auch kein Kreuz, sondern eher ein Lebensbaum. Die Enden lösen sich in spielerische Formen auf.

Man mag nur sehr unzureichend nachvollziehen können, was Männer wie Josef Rikus, Jahrgang 1923, im Krieg erlebt haben, was der Krieg mit ihnen und in ihnen angerichtet hat. Dennoch: Rikus und sein Gottvertrauen haben überlebt. Und vielleicht erkennt man in diesem Kreuz, das eigentlich ein Osterbild ist, was es mit der Verheißung auf sich hat, die einem beim Betreten der Kirche und dann eben auch beim Verlassen zuteilwird: Leben in Fülle.

Text: Claudia Auffenberg